03.04.2016

Lebensfreude in meiner Jugend

Kürzlich wurde ich von einer Bekannten, die gerade eine Ausbildung zum diplomierten Coach macht, gefragt: „Wodurch ist in Deinen jungen Jahren Lebensfreude entstanden?“

So habe ich mich (als 72 jährige) das erste Mal etwas intensiver mit dieser Frage auseinandergesetzt und meinem Denkapparat freien Lauf gelassen.

Meine Jugend war alles Andere als einfach, würde man heute sagen. Ich wuchs mit 10 Geschwistern, in sehr einfachen Verhältnissen,  einem kleinen Bauernhof auf. Mein Vater ging deshalb auf den Bau um dort etwas dazu zu verdienen.

Als Älteste, war schon früh arbeiten und überall mithelfen angesagt. Das war völlig normal, heute würde man das wahrscheinlich als Kinderarbeit bezeichnen.

Ich glaube ich hatte gar nicht hinterfragt ob ich Freude hatte oder nicht, vieles war selbstverständlich. Unzufriedenheit war kein Thema, ausser wenn ich auch gerne mit anderen Gschpänli aus dem Dorf gespielt hätte. Ich muss gestehen, da war ich manchmal etwas neidisch auf die „Dörfler“.

Noch heute höre ich den Spruch:

„Zuerst die Arbeit und dann das Spiel“.

Im Haus und Hof hatten wir alle unsere zugeteilten Aufgaben wie: melken, gärtnern, zu den Geschwistern schauen usw. Am morgen vor der Schule, mit dem Velo und Anhänger, die noch lauwarme Milch in die Sennhütte fahren, das habe ich gerne getan, denn so durfte ich das Velo bis zur Schule mitnehmen und musste nicht zu Fuss gehen.

Ich mit Hühner1

Ich liebte es zum Beispiel, eine Schar Hühner um mich herum zu haben, sie zu füttern und ihre frischen Eier auszunehmen.

An Sonntagen wurde gejasst, gespielt oder Kräuter gesammelt. Sehr oft durften wir mit unserer sehr kreativen Mutter etwas basteln. Dabei haben wir uns und die Zeit total vergessen. Das waren wirkliche Glücksmomente, etwas entstehen zu sehen, ich glaube das war echte Lebensfreude.

Ich ging auch sehr gerne zur Schule, denn ich war schon früh recht neugierig, wollte erfahren, wie es ist, soviel zu wissen wie die Erwachsenen. Dazu kam, dass ich in der 4. + 5. Klasse eine Lehrerin hatte, die ich verehrte, ich wollte so werden wie sie. Sie war ein echtes Vorbild für mich. – Dafür bin ich ihr heute noch dankbar.

In den Schuljahren durfte ich im Blauring sehr viel Geselligkeit erleben. Dort konnte ich ab und zu auch aktiv im Blauringtheater mitspielen. Ich liebte es in fremde Rollen zu schlüpfen, das war pure Lebensfreude.

Den langen Schulweg von fast einer Stunde Fussmarsch war ein Erlebnis für sich. Harmlose Streiche waren keine Seltenheit, die haben uns immer wieder in Enthusiasmus gebracht, Lebensfreude eben.

Während ich das jetzt so schreibe, entdecke ich, dass ich am meisten Lebensfreude verspürte wenn ich aktiv war. Langeweile kannte ich nicht. Ich lebte förmlich von den Komplimenten, wenn ich etwas gut gemacht hatte.

Von Enttäuschungen blieb ich natürlich nicht verschont. Als ich 17 Jahre alt war verstarb unser Vater an einem Arbeitsunfall und meine Mutter war im 7. Monat schwanger mit ihren 11. Kind. Das in einer Zeit in der die öffentlichen Mittel noch sehr mager ausfielen. Diese Zeit habe ich als sehr traurig in Erinnerung. Als erstes wollten die Behörden unsere Familie auseinander reissen. Weil das schon in der Familie meiner Mutter in ihrer Jugend passierte, war daran für sie nicht zu denken. So haben wir quasi einen Familienpackt geschlossen, wir entschlossen, alles zu unternehmen damit wir zusammen blieben. Ein Nachbar wurde dann als Beistand bestimmt, mit ihn hatte ich das Heu nicht auf der gleichen Bühne. Wir konnten aber so als Grossfamilie zusammenhalten.

Gerade erinnere ich mich an einen Lieblingspruch unserer Mutter:

„Immer, wenn du meinst es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her“.

Ich glaube heute, dass gerade durch gemeisterte Schwierigkeiten in mir sehr viel Freude entfacht werden konnte. Jedenfalls habe ich gelernt, kleine Dinge die von Herzen kommen zu schätzen.

Bis Heute ist es so, wenn ich eine Aufgabe habe, verspüre ich Lebensfreude und mein Lebensfeuer in mir. Die Herausforderungen sind das Holz, welches mein inneres Feuer nährt. Ich könnte es mir kaum vorstellen, nur Zuckermomente zu haben. Mein Zündfunke ist die Neugierde und etwas entstehen zu sehen.

Ich bin auch der Meinung, dass Herausforderung generell in der Jugend ein wichtiger Lebensfreudefaktor ist. Denn so werden auch Komplimente angebracht glaubwürdig sind. Das wiederum hat Anerkennung und Selbstachtung zur Folge.

Sogar meine Pflanzen verstehen heute wenn ich sie beachte, mit ihnen spreche. Ich glaube sonst würden sie weniger blühen oder gar verkümmern.

Zusammengefasst möchte ich für mich sagen, Neugierde, Herausforderungen, gezielte Aufgaben, Kreativität, Einfachheit, Achtsamkeit, Geselligkeit und Anerkennung sind meine ganz persönlichen Lebensfreude-Spender bis zu heutigen Tag.

Ich danke meiner Bekannten für den Anstoss, mir einmal den Begriff „Lebensfreude in der Jugend“ zu verinnerlichen. Mich erfüllt es mit Dankbarkeit und Stolz, was ich alles über mich selbst erfahren habe und nun wieder daraus lernen kann.

Gerne gebe ich den Tipp weiter, auch mal persönliche Gedanken darüber aufzuschreiben was tiefsitzende Lebensfreude hervorbringt. Dabei meine ich nicht nur die kurzzeitigen Abwechslungen, die auch dazu gehören, sondern die nachhaltigen Lebensmotive.

Viel Spass dabei!

Es würde mich freuen zu erfahren welches Deine innersten Lebensfreude-Motive sind!

Katharina